Montag, 6. Dezember 2010

Kleiner Kobolt - Wie war das mit den Schmerzen?

Der Schmerz geht - der Stolz bleibt? Na, demnach müsste ich demnächst mächtig stolz sein - falls der Stolz in direkter Relation zum Schmerz steht.
Mittlerweile kann ich aber schon wieder in unter 2 Minuten vom Bett zur Toilette gelangen und wenn ich mich länger bewege, also so 50 m am Stück, geht es auch besser.
Gestern gegen 15:00 bin ich zusammen mit Tom ins Ziel gekommen. 28 h waren wir zusammen gelaufen und hatten Schmerz und Leid geteilt und uns gegenseitig motiviert und unterstützt. Danke Tom, war 'ne tolle Sache.
Um 11:00 waren wir am Vortag in Koblenz gestartet. Antje hatte mich gefahren, eigentlich wollte ich ja mit der Bahn anreisen, aber mit dem Auto war es doch bequemer. Unser Lauffreund Joachim "Josi" Siller hatte die Bahn zur Anreise gewählt und hätte ab Mainz den gleichen Zug genommen wie ich. Aber leider hatte sein Zug Verspätung und "mein" Zug nicht gewartet, so daß er so leider nicht mitlaufen konnte. Sehr schade, Josi.
Dagegen waren doch unsere Probleme, den Startort zu finden verschwindend gering. Dort trafen wir auf Tom, Michael und den Rest der Wahnsinnigen. Von den 25 angemeldeten Startern waren 17 übrig geblieben. Bei der Startnummernausgabe wurde noch ordentlich die Pflichtausrüstung kontrolliert (finde ich gut, meistens wird das ja nur angedroht, aber nicht gemacht, siehe Marathon des Sables). Nach einem kurzen Streckenbriefing ging es los. Die meisten gingen zu meiner Verwunderung gleich ab wie die Feuerwehr. Tom und ich hielten uns zurück und liefen so im hinteren Drittel. Zunächst hieß es für uns, sich an die Beschilderung zu gewöhnen. Ich kannte diese zwar unseren Bretzelwetzer-Rheinsteigwanderungen, aber im Lauftempo ist das doch etwas anderes, als im gemütlichen Wanderschritt. Außerdem haben wir bei den Bretzelwetzern ja offizielle Wegfinder, denen man nur hinterher laufen muss :-).
Der Rheinsteigwanderweg ist wirklich hervorragend ausgeschildert, aber es gilt: "Augen auf beim Eierkauf." Und das ist uns nicht wirklich immer gelungen.
Nach den ersten 15 km konnten wir schon erleichtert feststellen, daß die Bedingungen nicht so schlecht waren, wie befürchtet. Es lag zwar Schnee, wodurch das Laufen anstrengender wird, aber der Schnee war recht griffig und und gut zu Laufen. Nur an steilen Passagen war es öfters etwas rutschig. Aber zum Glück hatte ich meine Stöcke dabei. Es war auch nicht sooo kalt wie an den Tagen zuvor und bei Bewegung war es recht gut auszuhalten. Ich bin die komplette Strecke in der gleichen Kleidung durch gelaufen und habe von der Wechsel/Zusatzkleidung in Rucksack und Dropbag nichts gebraucht.
So liefen die km bis zur ersten Verpflegung bei km 35 recht gut. Ein paar mal hatten wir uns "verlaufen" und dadurch schon etwa 3 km zusätzlich auf dem Konto. Meistens lief das so, man trottet vor sich hin, merkt auf einmal, daß man lange Zeit kein Schild gesehen hat und läuft zurück bis zur letzten Markierung. Und wieder 500 m zu viel. Oder man läuft hinter jemandem her, der falsch läuft. So sind wir einmal ein paar hundert Meter hinter Andreas gelaufen, der plötzlich links ab bog. Wir natürlich ohne nachzudenken hinterher. Bis Andreas auf einmal, nach ca. 1000 m, irritiert stehen blieb - und wir auch. Und wieder zurück.
Als es langsam dunkel wurde, kamen wir bei VP 1 an. Dort wartete einer der Veranstalter, Andreas, auf uns mit seinem Buffet. Also, ich muß schon sagen, dafür, daß in der Ausschreibung steht, es gibt nur Wasser, Tee und Suppe, habt ihr ganz schön aufgefahren. So gab es alles, was das Ultraherz begehrt, sprich, keine Gels oder Riegel, sondern richtiges Essen, wie Salzstangen, Schokolade, Gummibärchen, Spekulatius, Wurst usw. Und natürlich Suppe, Brühe, Cola, Malzbier, Tee...
An VP 1 trafen wir auch wieder Andreas und Hans-Peter, der unsere 3 km Umweg mit seinen 7 km toppen konnte (das hätte uns zu denken geben sollen - später mehr).
Wir liefen zusammen mit Andreas weiter, was Weg-finde-technisch sehr gut war, denn Andreas war sehr aufmerksam. Und er war bestens ausgestattet. Wie Tom so schön sagte: Was ist besser als eine Stirnlampe? Zwei Stirnlampen. Denn die hatte Andreas auf. Beim Erzählen stellten wir fest, daß uns, Andreas und mich, vor 3 Monaten das selbe Schicksal ereilt hatte. Wir hatten zusammen mit 1000 anderen Läufern in einer Halle in Chamonix gesessen und auf den Start des TDS gewartet.
So liefen, gingen, stapfen wir zusammen bis VP 2 - unter anderem auf recht steilen, Seil gesicherten Passagen, die aufgrund des Untergrundes etwas knifflig waren.
Das Gute war aber immer, wo es hoch geht, geht es auch wieder runter. Und der Rheinsteig ist kein Hochgebirge. Also hat man nach ca. 200 - 300 hm immer wieder zwangsläufig eine Abwärtspassage auf der man sich - meistens- erholen kann.
Gegen 22 Uhr kamen wir zusammen bei VP 2 an. Dort waren 6 Läufer versammelt, 2 von ihnen stiegen hier aus. Auch Andreas ging es nicht gut, er hatte Probleme am Fuß, so daß Tom und ich alleine weiter liefen. Relativ kurz nach VP2 kamen wir an eine Abzweigung die nicht beschildert war, also zurück. Auf dem Rückweg kam uns aber Hans-Peter entgegen, der sagte, laut seinem GPS sei dies der richtige Weg. Dummerweise ließen wir uns hiervon überzeugen und liefen mit. Immer noch kein Schild, aber laut GPS waren wir auf der richtigen Strecke. Also immer schön weiter mit dem GPS, welches Hans-Peter, was er uns nach 20 Minuten offenbarte, seit einer Woche besaß. Uaaaahhh. Aber dann, nach 5 km endlich wieder ein Rheinsteig Schild - wir waren wieder auf dem richtigen Weg und 100 m vor uns lag - VP 2. Jippie.
(Nachtrag zu Hans-Peters Ehrenrettung: Wie ich eben erfahren habe, wurde in diesem Bereich im Mai die Strecke verändert und es sind anscheinend noch veraltete GPS-Tracks im Umlauf. Dadurch erklärt sich auch, daß wir nach ein paar km ein einsames Rheinsteig-Zeichen gesehen haben).
Wir haben dann wieder angefangen, uns auf unsere Augen zu verlassen, was uns mehr schlecht als recht gelungen ist. Moralisch etwas angeknackst machten wir uns also auf den Weg zu VP 3, der bei km 87 liegen sollte. Eigentlich wollten wir dort so gegen 3:00 sein, aber wir kamen nicht so recht voran. Einmal war die Strecke zu schwer, um in einem einigermaßen vernünftigen Tempo zu laufen, zum anderen hatten wir immer wieder kleine Umwege mit drin. Interessanterweise meist in den Ortschaften. Dort wird man automatisch unaufmerksam, wahrscheinlich, weil man sich auf einmal sicherer fühlt. Interessant war es auch, nachts um 3:00 durch Linz zu Laufen und auf Jugendliche zu treffen, die gerade nach Hause gingen. Lustige Gesichter haben die gemacht.
Gegen 4:00 Uhr kamen wir an VP3 an, wo auch unsere Dropbags deponiert waren. Ich packte sämtliche Wechselklamotten vom Rucksack in die Dropbag und füllte nur meinen Peroninvorrat auf. Danach war mein Rucksack angenehm leicht. Als wir gerade aufbrechen wollten, rief Andreas bei VP3 an. Er saß in Erpel am Bahnhof und frage, ob ihn jemand abholen könne. Der Fuß ließ ein weiter laufen nicht mehr zu.
Tom und ich liefen weiter und machten uns auf dem Weg zum Erpeler Ley. Laut Streckenbriefing sollte dieser als Teil der Strecke bestiegen werden, was wir natürlich brav machten. Hier zeigte sich, daß ein Blick auf die Karte schlau gewesen wäre. Denn wir sollten ja nur hoch und wieder runter. Also auf dem gleichen Weg. Wir sind aber auf einem anderen Weg runter und kamen nach ca. 2 km - Achtung Deja Vue - 200 m oberhalb von VP 3 an. Aber das kannten wir jetzt ja schon und machten uns einfach auf zum 2ten Versuch. Dieses Mal aber ohne Besteigung.
So langsam fingen wir immer wieder an zu rechnen. Wie weit könnte es noch sein, wie weit sind wir offiziell gelaufen, denn auf Toms Garmin konnten wir uns ja nicht mehr verlassen. Sehr verwirrend war hier ein Wegweiser, auf dem stand "Honnef 11.9 km". Wenn das stimmen würde, wären wir streckentechnisch etwa wieder hinter VP3 zurück gefallen. Ich habe mir das eben nochmal auf der Karte angeschaut, das Schild steht fast am Stadtrand von Honnef, warum da 11.9 km steht ist mir ein Rätsel und für unsere Moral war es nicht gerade zuträglich. Wir schlugen uns also weiter durch, gegen 8 Uhr ging die Sonne auf und nach Besteigung der Löwenburg gelangten wir um 10:00 Uhr zu VP4. Auch hier war die Versorgung wieder einmalig und fürsorglich. Offiziell waren jetzt bei km 115, laut Garmin etwa bei 128. Also noch 25 km und 6 Stunden Zeit. Sollte zu schaffen sein, wenn nichts mehr schief geht !!!
Ein bisschen was ist dann aber doch noch schief gegangen. Nach Besteigung des Drachenfelsen kamen wir runter zum Milchhäuschen, wo wir wohl den Abzweig verpassten (Aber ich habe später gehört, der sei auch schwer zu finden. JA!!! Wir waren also wieder auf unmarkierter Strecke und befragten 2 Radfahrer. Die meinten, wir seien schon richtig und sollten einfach weiterlaufen und uns links halten. Dummerweise holten wir eine 2te Meinung ein und fragten einen Fußgänger nach Richtung Peterberg. Der sagte uns, zum Petersberg wäre es ganz schön weit und das wäre auch die falsche Richtung. Also wieder zurück. Am Milchhäuschen fanden wir dann den richtigen Weg und liefen ihn für 500 m um dann wieder auf dem falschen Weg heraus zu kommen. Also beschlossen wir, wieder dem Tipp der Radfahrer zu folgen. Nach kurzer Zeit führte der Weg auch tatsächlich auf den Rheinsteig, allerdings wussten wir nicht, in welche Richtung wir laufen mussten. Nach kurzer Diskussion und Kartenstudium entschieden wir uns für eine Richtung (dreimal dürft Ihr raten...). Während Tom noch an seinen Schuhen herumwerkelte, lief ich schon mal vor und nach ein paar Metern ging es steil hinauf zum Geisberg. Als ich fast oben war kam Tom unten an und wir diskutierten erstmal auf die Entfernung. Tom sagte, er sei den Berg schon mal mit Rolf Mahlburg hoch gelaufen. Aber Rolf läuft den Rheinsteig in die andere Richtung. So sagte ich, "wenn Ihr den Berg hoch gelaufen seid, müssen wir runter", und lief wieder hinab. Unten schauten wir nochmal auf die Karte, diskutierten und - :-) - liefen wieder hoch. Als wir oben dann das Schild sahen 'Milchhäuschen 800 m' war klar: Wir haben für 800 m eine knappe Stunde gebraucht. Aber immerhin wussten wir jetzt wieder, wohin wir laufen mussten. Und: Ab hier haben wir uns bis zum Ziel nicht mehr verlaufen!!!
Es ging also weiter über den Petersberg, wo ich ein paar verständnislosen Wanderern erklärt habe, was wir machen weiter, um Bonn herum Richtung Ziel. Weiterhin ständig hoch und runter, aber nicht mehr so schlimm. Die letzten km waren sehr zäh und schmerzhaft, das Lauftempo in der Ebene sank drastisch. Aber als die ersten Bonn-Entfernungsschilder auftauchten, wussten wir, wir würden es schaffen und fingen gleich wieder an, zu rechnen, ob wir auch unter 28 h bleiben könnten. Gegen 14:30 liefen wir in Bonn Beuel ein und benötigten noch ganze 25 Minuten für die ca. 3 km bis zum Ziel.
Nach 27h 57min, offiziellen 140.5 km und inoffiziellen 155 km kamen wir schließlich glücklich und kaputt an dem Fitnesscenter an, wo die Veranstalter einen Raum gemietet hatten. Dort wurden wir mit großem Hallo begrüsst. Wie zu erwarten gab es alles, was das Herz begehrt und vor allem viel Fürsorge und Zuspruch.
Nach Dusche, Siegerehrung und ein bisschen Erfahrungsaustausch (wer hat sich wo und wie verlaufen) hat mich Toms Frau Gabi netterweise zum Bahnhof gefahren, wo ich im ICE nach Mainz einen Sitzplatz auf dem Boden vor der Toilette ergattern konnte. Und als ich heute morgen meinen Kaffee aus meiner neuen Kobolttasse getrunken habe, musste ich feststellen, daß das schon stimmt mit dem Stolz. Jetzt müssen nur noch die Schmerzen gehen.
Welche Erkenntnisse bleiben?
- Ich kann 150 km am Stück laufen
- Ich kann 28 Stunden am Stück laufen
- Ich könnte von Powerbar Ride Shots und Peronin überleben (glaube ich)
- Es lohnt sich manchmal, auf die Karte zu schauen
- Man sollte nicht immer auf die Technik vertrauen
und vor allem:
Der kleine Kobolt ist einer toller Lauf, nett und persönlich organisiert, von Läufern für Läufer, sehr anspruchsvoll, eine absolute Hausnummer. Ich habe mich sehr wohl gefühlt und werde bestimmt wieder kommen. Die meisten kniffligen Stellen kenne ich ja jetzt. Und nächstes Jahr wird ja auch jede Abzweigung mit Sägemehl abgestreut, habe ich gehört. Das kann man aber auch wirklich verlangen ;-)

4 Kommentare:

cologne_biel_hawaii hat gesagt…

Ich könnte ja in 2011 vor Dir laufen und Sägemehl streuen....lach
Wahrscheinlich begleite ich aber eine Läuferin auf der 106er Strecke!!
lg
Michael

Anonym hat gesagt…

Hallo Achim...
genau so, wie Du es beschrieben hast, haben wir (Markus, Jörg und ich - auch Markus) den Lauf auch empfunden...
Gerade im Bereich einer Ortschaft, fiel es fast am schwersten auf dem Weg zu bleiben... (denke auch, dass man davon ausgeht, hier verliefe man sich am wenigsten)...
...
Danke für diesen schönen Bericht... und... es war wirklich nicht leicht (lach)... aber ich könnte mir jetzt schon vorstellen doch noch einmal ein Wiederholungstäter zu werden...

Bleib´gesund... und vielleicht sehen wir uns ja am K-UT 2011 in Reichweiler...

Würde mich freuen

Gruss Markus

Anonym hat gesagt…

Schöner Bericht Achim ...

... ist es nicht schön, zu wissen, dass wir 150 K weit laufen können, 28 Stunden lang laufen können?

Wer von uns hätte das vor fünf Jahren von sich gedacht?

Wir testen das erneut auf dem RheinBurgenWeg im März 2011 ...

TOM

Jens hat gesagt…

Großes Kompliment und meinen Respekt! Ich bin auf deinen Blog gestossen, weil ich nach 150km gehen gegoogled habe. Ich möchte diese Strecke gerne am Stück schaffen. Es ist eine einfache Strecke hier in Schleswig-Holstein.
Mal schauen ob ich es angehe und dann auch schaffe. Es soll eine Aktion werden, um andere Menschen zu ermutigen über ihre Grenzen zu gehen, bzw. an sich zu glauben, dass sie mehr schaffen können als sie glauben.

Also nochmal, Hut ab vor Deiner Leistung!!!